auch schlafen ist eine form der kritik

ungleich welcher Couleur

Wann immer sich die kognitive Dissonanz zur Rhetorik ins Bett legt, beide anfangen ein bisschen aneinander herumzufummeln und das Ganze letzlich in einem armseligen, kurzen Nümmerchen endet, kommt am Ende stets so etwas heraus, wie das Textchen der FDP-Fraktion Berlin. In dezent bearbeiteter Form ist dieses Kind der Unliebe z.B. auf den Seiten von Björn Jotzo, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, zu finden [via]. Geburtstag: 30. April 2010.

„Für ein tolerantes Berlin, gegen politischen Extremismus – Linke Gewalt endlich wirksam bekämpfen“, so der Titel des Bastards. Es geht also um politischen Extremismus, genaugenommen: linke Gewalt. Okay. Was sagt dieses Textkind also?

Leider haben in den vergangenen Jahren insbesondere linksextremistisch motivierte Gewalttaten in Berlin signifikant zugenommen. Besonders eklatant ist die Entwicklung bei politisch motivierten Brandstiftungsdelikten.

Und als müsste man diesen „signifikanten Anstieg“ jener Gewalttaten gefühlt untermauern, werden sofort die „Brandstiftungsdelikte“ herangezogen. Das passt schon, denn schließlich kann man selbst in jede noch so schwere Sachbeschädigung Dinge hineinprojezieren.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um mögliche Gewaltexzesse am 1. Mai ist es wichtig, konstruktive und positive Ideen für ein friedliches Miteinander in unserer Stadt zu entwerfen und im Rahmen von parlamentarischen Initiativen zu diskutieren.

Konstruktiv. Positive Ideen. Friedliches Miteinander. Diskutieren. Genau das. Oh wie schön, endlich einmal keine Vorurteile, Vorhaltungen oder politisch-berechneten Planspielereien, das wäre zu schön um wah…

Der rot-rote Senat schaut dieser Entwicklung leider tatenlos zu. Die Mitglieder der Regierungsparteien und der Grünen verharmlosen linke Gewalt oftmals und distanzieren sich vielfach nicht ausreichend und glaubwürdig von linksextremistischen Organisationen.

… ich hätte ja zumindest noch irgendeinen Paragraphen an Fülltext dazwischengeschoben, damit der Bruch nicht gar so offensichtlich ist, aber gut. Ein kleiner faux pas, wird sich bestimmt nicht wiederholen. Denn jetzt erklärt das Textkind, was die FDP-Fraktion im berliner Abgeordnetenhaus weiß (in voller Länge):

Die Bekämpfung des Phänomens “Linke Gewalt” kann und darf nicht allein durch polizeiliches Handeln erfolgen. Berlin braucht eine wirksame Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft, Schulen, Verfassungsschutz, Justiz, der Berliner Wirtschaft und der Polizei. Neben einer Aktivierung von zivilgesellschaftlichen Prozessen müssen linksextremistische Bedrohungen durch eine konsequente Präventionsarbeit bekämpft werden. Die Sicherheitsdienste im Land Berlin sind so auszustatten, dass sie in der Lage sind, sowohl bei Großlagen wie dem 1. Mai als auch im Tagesgeschäft wirksam zu handeln.

Wow. Wenn man also all die differenziertes Verständnis und Ansatzpunkte suggerierenden Textversätze weglässt, bleibt bestehen: Allein polizeiliches Handeln reicht nicht aus, stattdessen müssen die „Sicherheitsdienste“ Berlins so gut ausgestattet werden, dass deren polizeiliches Handeln die linksextremistischen „Bedrohungen“1 praktisch im Alleingang wirksam bekämpfen kann.

Ich frage mich, in welcher geistigen Verfassung der/die Autor/en gewesen sein muss/müssen. Beim Lesen solcher Absätze zwingt der pochende Schmerz in der Stirn, die eigenen Augen kurzzeitig zu schließen, um bitter nötige kognitive Erholung zu gewährleisten.

Der Senat muss die Bürgergesellschaft stärker in die Bekämpfung linker Gewalt mit einbeziehen. Mittelfristiges Ziel all dieser Ansätze muss es sein, den gesellschaftlichen Druck auf Extremisten zu erhöhen und ihnen deutlich zu machen, dass Gewalttaten in Berlin – egal ob von rechts oder links – nicht akzeptiert werden.

Die Bindestriche nur, damit hinterher keiner behaupten kann, man wäre in diesem Aufruf zu einseitig gewesen, was?

Die FDP-Fraktion gibt sich nicht mit der butterweichen Erklärung der Fraktionsvorsitzenden von SPD, Linkspartei, Grünen und CDU ausschließlich zu Brandanschlägen zufrieden. Die Diskussion über linke Gewalt muss auch Gewalt gegenüber Polizeibeamten und Bürgern umfassen. Sie gehört nicht in eine Fraktionsvorsitzendenrunde, sondern in die breite Öffentlichkeit und damit in die Debatte im Berliner Parlament. So hat jeder Abgeordnete die Gelegenheit, namentlich und individuell klare Kante gegen Extremismus von links und rechts zu zeigen.

Abgesehen von der sprachlichen Anbiederung („butterweich“, „Kante zeigen“?) ist der letzte Satz wohl eine Nachwehe obiger Bindestrich-Kontraktionen. Man könnte im Gedanken eventuell dem Drang nachgeben, noch ein „… wenn er es denn unbedingt will; aber gegen linken Extremismus reicht auch erstmal“ anhängen, aber solch schlechten Zwängen muss man standhalten. Kante zeigen, sozusagen.

Die FDP-Fraktion tritt ein für ein tolerantes Berlin. Deshalb fordern wir: Null Toleranz gegenüber intoleranten Extremisten – gleich welcher Couleur!

Ja, das hat diese textliche Missgeburt aus kognitiver Dissonanz und Rhetorik ja wunderbar und sehr glaubhaft veranschaulicht.

1 Keine Widerrede, „Bedrohung“ passt. Denn schon morgen könnten wir doch alle in einem revolutionär überworfenem Ländle leben. Das Bedrohungsgefühl ist immanent.


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