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Lösung für Online-Misere der Verlage gefunden

Wie Spiegel Online, FAZ, SZ und Die Zeit heute früh exklusiv berichtet haben, ist Heinz-Gherold Weg aus Affler (Rheinland-Pfalz) am gestrigen Tage das gelungen, worauf alle gewartet haben:

H. G. Weg hat die Lösung für die Monetarisierung digitaler Inhalte der angeschlagenen Printmedien gefunden. Wie inzwischen von unabhängigen Analysten und einem Kreis ausgewiesener Experten bestätigt wurde, handelt es sich bei Wegs Ansatz um den für alle Verlage einzig möglichen Ausweg aus ihrer momentanen, durch das Internet heraufbeschworenen, finanztechnischen Misere.

"Nun, was kann ich großartig sagen. Da saß ich also vorgestern Nacht in Affler, in meinen eigenen vier Wänden, tippte gerade an einem Blogeintrag herum - ich regte mich über den Zustand der Klowände des einzigen öffentlichen WC auf — da traf mich der sprichwörtliche Schlag", berichtet Weg euphorisch.

"Wie von fremder Hand geleitet, flogen meine Finger über die Tastatur und am Ende meiner Schreibwut… ja, das stand sie. Meine Strategie zur garantierten wirtschaftlichen Rentabilität. Ich las sie mehrmals durch, konnte es selbst nach dem zehnten Lesen noch nicht glauben, aber sie war und ist einfach hieb und stichfest. Garantiert eben. So war das. Und natürlich stellte ich sie sofort auf mein Blog."

Doch allen Anschein nach nimmt dieser ausgewiesene Glücksfall für die freilich im hohem Maße interessierten Verlage eine ungünstige Wendung. So hat zwar Heinz-Gherold seine Erkenntnis in Textform umgehend und wie aus Reflex in sein Blog gestellt, doch verlangt er für den Abruf eine Gebühr zwischen 2 und 10 Euro. "Ein lächerlich-kleiner Preis für dauerhafte Aufklärung unseres digitalen Dilemmas", wird der Chefredakteur des Branchenführers, Hamburger Abendblatt, ungenannt zitiert. Doch die Vorfreude dürfte ihm, wie auch den anderen Leitern großer Online-Publikationen, vergangen sein.

In den ersten Stunden nach dem Bekanntwerden Wegs singulär-rettender Idee, wiesen diverse Medienanwälte der Häuser ihre Dienstherren darauf hin, dass der vermeintliche Käufer des Artikels diesen lediglich leasen könne. Aufgrund der vom Textautor aufgestellten Konditionen sowie der vom Mietenden zwingend zuzustimmenden Nutzungsbedingungen, sei es jedem Nutzenden rechtlich deshalb unmöglich, Ideen und Anregungen aus H. G. Wegs Erkenntnissen zu ziehen, zu übertragen oder gar selbst zu verwenden.

"Eine unerhörte Frechheit ist das", kritisiert Hans Dietrich Ampf, einer der Mitherausgeber der FAZ, diese Umstände, "da bezahlen wir, um auf diesen Text zugreifen zu können und nun soll es das für uns gewesen sein?" Weg selbst lehnt es auf zahlreiche Nachfragen hin konsequent ab, weiterführende Rechte - "egal zu welchem Preis" - zu gewähren. "Ich muss doch auch sehen, wo ich bleibe", erklärte er hinsichtlich seiner rigorosen Haltung. Und gibt weiterhin zu bedenken: "Welchen Wert hätte denn mein nächtlich niedergeschriebener Text noch, wenn plötzlich jeder dieser Herren sein eigenes Geschäft damit zum Blühen brächte? Die Besonderheit meiner bahnbrechenden Idee wäre doch dahin!"

Wie nun bekannt wurde, ist das Wirtschaftsministerium im Begriff, sich mit diesem Fall der Vorenthaltung zu befassen. Ein Sprecher Rainer Brüderles (FDP) gab an, man werde prüfen, "ob das Geistige Eigentum des Autoren in diesem Fall tatsächlich hieb- und stichfest" sei und resümierte, es könne nicht angehen, "dass eine einzelne Person hier plötzlich im Alleingang eine ganze Branche fesseln und knebeln" würde. "Ohne Sinn für Maß und Verstand ist das." Man werde, so der Sprecher weiter, nun in einem Gremium prüfen, ob das von Politik und Medien anvisierte Leistungsschutzrecht dahingehend erweitert werden kann, um "solch schweren Fällen geistigen Vorenthalts wirksam entgegentreten zu können."

H. G. Weg wähnt sich indes noch auf der sicheren Seite und begegnet dem aufkommenden Gegenwind mit einem Lächeln: "Schaue ich mir die Zahlungsstatistiken an, stelle ich fest, dass ein Großteil dieser aus Deutschlands Medien-Burgen stammen. Ich könnte da Namen nennen, Sie würden sich wundern…" Derzeit scheint es also unverändert weiterzugehen: Weg genießt sein einzigartiges Monopol, während den Branchenkönigen derzeit nichts anderes übrigbleibt, als sehnsüchtig auf die Politik zu warten.

[Derweil macht uns H. G. Weg, anscheinend ganz der bloggende Prototypus, auf Einträge seiner Lieblings-Blogs aufmerksam. "Oh, da gibt es einige tolle Sachen. Ganz famos finde ich diese Einträge von Nico, ben_, und Christian. Schauen Sie sich das doch einfach mal an. Bei denen kostet das auch nichts, ich verspreche es Ihnen."]

~ Am 01.04.2010

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~ Bildmaterial von James Vaughan (cc) Bildmaterial von James Vaughan (cc) Bildmaterial von James Vaughan (cc) Bildmaterial von clotho98 (cc)