auch schlafen ist eine form der kritik

Robert Graves. Ich, Claudius, Kaiser und Gott

Doch nachdem er in Charons Nachen gefahren,
in ungefähr neunzehnhundert Jahren,
wird Claudius sich deutlich offenbaren.

So endet die an Claudius gerichtete Prophezeiung der cumaeischen Sybille. Als Leser fragt man sich schon nach diesem ersten einführenden und durch und durch auf der Meta-Ebene befindlichen Kapitel: Wie zum Teufel wusste die damals von Graves Buch?!

Clau-Clau-Clau-di-diu-Clau-Claud—Kaiser

In seiner fiktiven Biographie zeichnet Graves den späteren Kaiser als wissbegierigen Außenseiter. Mit körperlichen Gebrechen und einem Stottern scheint für Clau-Clau-Clau-dius keine öffentliche Rolle möglich, weshalb er von allen Funktionen und Anlässen des politischen Alltags insbesondere auf Weisung seiner Großmutter, Livia, ferngehalten wird. Derart isoliert und gescholten, wendet er sich stattdessen der Geschichtsschreibung zu, betreibt eigene historischen Studien und verfasst diverse Kompendien.

Seiner niederen Rolle innerhalb der julisch-claudischen Dynastie hat es Claudius schließlich zu verdanken, dass er nach dem Tod von Augustus die folgenden Herrschaftsjahre des Tiberius und Caligula überlebt. Nach der Beiseitigung Caligulas (woran Claudius im Buch nicht wissentlich beteiligt war) flieht er, um sein Leben fürchtend, in den Palast und wird dort, sich hinter einem Vorhang versteckend, von den prätorianischen Truppen aufgefunden. Um nicht ebenso wie Caligula zu enden, geht Claudius auf das Drängen der Prätorianer ein, verspricht ihnen darüberhinaus eine reiche Entlohnung und wird sodann mit ihrer Unterstützung als Kaiser eingesetzt. Regieren oder sterben.

Augustus regiert die Welt. Livia regiert den Augustus.

Ich, Claudius, Kaiser und Gott zieht beständig Parallelen zwischen Augustus und Claudius. Sowohl Augustus‘ Livia wie auch Claudius‘ Messalina und Agrippina werden als berechnende, manipulierende Figuren dargestellt, die Widersacher und andere Gefahren effizient aus dem Weg räumen (lassen), während die Ehemänner an ihrer Seite nichts oder nur wenig davon bemerken. Vielleicht auch nicht bemerken wollen.

Wird Livia dabei durchaus auch die Motivation der Nachhaltigkeit und Stabilisierung des Reiches zugestanden, so erhält Messalina durch und durch eine Zeichnung als narzisstische, sexbesessene und skrupellose Frau. Genaugenommen kommt bis auf die Geliebte/Vertraute des Claudius, Calpurnia (und mit deutlichen Abstrichen Livia) keine der Frauenfiguren sonderlich gut weg. Messalinas Durchtriebenheit und das Nichterkennen derselbigen von Claudius wird gerade im letzten Drittel des Buches maßlos auf die Spitze getrieben, vermutlich, um den Punkt Claudius als Archetyp, als die mit Makel versehene, schillernde Figur zu unterstreichen. Etwas dick aufgetragen.

Während Augustus hier einige wenige republikanische Sympathien hegt, zeigt sich Claudius im inneren Monolog als völliger Anhänger der Republik. Viele seiner Handlungen werden mehr oder weniger mit der Motivation untermauert, über kurz oder lang jene frühere Herrschaftsform wiederherstellen zu wollen. Das jedoch – man ahnt es – wird durch alle äußeren Umstände stets verhindert. Claudius schlägt gegen Ende seines Leben eine fatalistische Ansicht zum Reich und der damit verbundenen Spannungen zwischen Senat und Kaiser ein.

Zwar bevorzugt er die Republik, muss aber erkennen und zugeben, dass sowohl die Senats-Aristokratie der Republik wie das Principat jeweils zwangsläufig im zum Nachteil aller schlechtesten Extrem gipfeln. Erst nach dem (erneuten) Durchleben der Gewalt, Ungleichheit und Dekadenz wird der Systemwechsel ermöglicht und durch die breite Schicht getragen. So ergibt er sich seiner Rolle und hofft auf die späteren Generationen.

In Aufzählung

Was an Ich, Claudius, Kaiser und Gott auffällt, wird im 8. Kapitel des Buches von Graves selbst angerissen. Ein junger Claudius wird in eine Diskussion über Geschichtsschreibung zwischen seinem Lehrer Livius und dessen Bekannten Pollio verstrickt und erkennt zwei Schulen. Nach der einen ist der Autor mehr Dichter denn Geschichtsschreiber. Fakten werden dem beabsichtigten Narrativ, seiner Struktur und der konnotierten Moral und Lehre zuliebe vernachlässigt oder zumindest untergeordnet. Die Geschichtsschreibung als belehrende Parabel stets im Dienste der Gegenwart, wenn man so will.

In der anderen Denkschule ist der Autor lediglich nüchterner Zeuge, der kaum irgendwelche literarischen bzw. dichterischen Ambitionen sein Eigen nennt und so wahrheitsgemäß und realistisch beschreibt, wie es ihm nur irgend möglich ist.

Es gibt sicherlich zwei ganz verschiedene Arten der Geschichtsschreibung: Die eine will die Menschen zum Guten erziehen, und die andere will sie zur Wahrheit zwingen. Der erste scheint mir der Weg des Livius zu sein, der zweite der Ihre. Und vielleicht lassen sich beide Wege miteinander vereinen.

8. Kapitel. Claudius zu Pollio.

Auch Graves gelingt diese Symbiose nicht vollends. Häufiger lesen sich Abschnitte wie ein Geschichtsbuch. Der Stammbaum wird prosaisch abgehandelt, hier wird gemeuchelt, dort eine Anvertraute des Onkels von Livia vergiftet, dann das Kind der Schwägerin ertränkt… so geht das. Bisweilen nötig, mitunter auch amüsant, wenn Graves eine halbe Seite irgendein Kind von xy kurz charakterisiert, um dann mit einem Satz über dessen Ableben zu informieren; es bleibt jedoch mehrheitlich ein klinisches Abschreiten des Stammbaums, dass ein schales Gefühl der Enttäuschung hinterlässt.

Denn im Vorwort, auf den August 1934 datiert, schreibt der Autor:

In England ist das vorliegende Buch in zwei starken Bänden herausgebracht worden, deren Gesamtinhalt ungefähr das Doppelte des Inhalts der deutschen Ausgabe ausmacht. Ich habe es indessen für ratsam gehalten, aus der deutschen Ausgabe alle Abschweifungen und Zustätze zu entfernen, die in treuer Anlehnung an die dem historischen Claudius eigene Schreibweise der englischen Ausgebe einverleibt wurden. Durch diese Straffung der deutschen Ausgabe versuche ich die eigentliche Geschichte des Claudius noch klarer und wirksamer zu geben. Das Buch wird nicht nur handlicher, sondern es wird, wie ich hoffe, dem deutschen Leser auch willkommener sein.

Mit der Bedeutungsübertragung antiker Begrifflichkeiten in ihre modernen Pendants habe ich keine Probleme, als Kompromiss in Verständnisfragen. Wohl aber mit der „Straffung“ einer Geschichte, die ausladendes Erzählen schier unausschöpflich ermöglichen würde. Thomas Mann hat die biblischen Joseph-Erzählung (insgesamt wohlwollend ca. 30 Seiten lang) – um es mit Goethe zu schreiben – „ins einzelne [ausgemalt]“ und eine Tetralogie geschrieben, die noch immer ihresgleichen sucht. Die antiken Quellen hätten ähnliches verdient.

Abseits dieser Aspekte gefällt Ich, Claudius, Kaiser und Gott nichtsdestotrotz. Vor allem als Einstieg in die Antike kann man es wärmstens empfehlen.


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