auch schlafen ist eine form der kritik

re:Randnutzer 2010

Da schaute ich letztens das Video des dctp-Interviews mit Peter Kruse auf der re:publica 2010 an, doch das Video verweigerte sich mir. Also es spielte problemlos im Browser, aber von Kruse bekam ich nichts mit, denn meine Augen wurden ständig an den rechten Bildschirmrand gedrängt.

Prof. Dr. Kruse. Bildkompositorisch leicht aus der Mitte verrückt, wird seine zentrale Rolle durch die farblichen Spiele in der rechten Bildhälfte unterstrichen. Kompositorische Ruhe in der Ver-rücktheit. Viel Planung scheint in dieser Anordnung zu stecken, ebenso wie auf der Gegenseite. Neben den Interviewer spiegeln sich die farblichen Fensterspiele wieder.

Doch wie das immer ist: man kann soviele Gedanken in die Planung stecken – auf einer Konferenz existiert ein unberechenbarer freeflow. Ein Netzwerk voller Pläne durchkreuzender Protagonisten. Gemeinhin „der Nutzer“ genannt. So möge dieser eintreten und durch stillstehende Bildwelten wandern…

Nicht doch! Niemals direkt in die Kamera schauen.

Selbst in die Gegendarstellung der Interviewsituation dringt dieser Nutzer geschickt ein und…

… macht es sich gemütlich. Hier ist es gut. Hier ist es richtig. Hier richte ich mich ein.

Nachdem die Tasche sanft abgelegt und der Laptop gewissenhaft vor ihm aufgebaut ist, richten sich die Nutzerblicke gen Himmel. Ein erleichtert-angespanntes, aus der eigenen Tiefe entspringendes, Ausatmen folgt. Konferenzen stressen eben bisweilen sehr. Danach folgt beruhigtes Treiben und der Nutzer scheint sich sicher zu sein, dass seine Platzwahl adäquat – und in der Tat richtig gewesen zu sein scheint. Erleichterung.

Das scheint der Mann an der dctp-Kamera – vielleicht verständlich – ein wenig anders zu sehen. Vielleicht dachte er sich, dies hier sei ein Interview und keine Präsentation; vielleicht entstammt die nun folgende Reaktion auch einem rein ästhetischen Gedanken – oder dem verletzten Stolz ob der nun gefühlt-verhunzten Bildkomposition?

Man weiß es nicht. Doch auf jeden Fall wird sogleich der Nutzer an den Rand verbannt und zur selbigen, passenden Gestalt verdammt. Davon sichtlich nicht besonders mitgenommen, hält er sich trotz aller Widrigkeiten am Rand fest und macht ihn sich zu eigen. Es ist ein unterschwelliger Kampf zwischen Nutzer und Kameramann – wer wird früher nachgeben? Die Entscheidung fällt verhältnismässig zeitig. 1:0 für den Nutzer.

Als echter Besucher und Nutzer der re:publica werden von ihm alle weiteren benötigten Utensilien bereitgehalten. Das Einstecken eines USB-Stick wird stilgerecht geradezu zelebriert, mit dem Handy Kontakte aufrecht gehalten.

Und hier haben wir den Nutzer am Ende der Fahnenstange; inmitten seines digitalen Archipels. Der Nutzer sitzt bequem, vor ihm tut sich wie selbstverständlich der digitale Meereshorizont in Laptop-Form auf und in der Hand ein kleines Inselchen mit fantastischen Aussichtspunkten.

Wenn man jetzt ganz leise ist, dieses Bild auf sich wirken lässt und in Trance verfällt; wenn man darüberhinaus wenigstens einmal einer Oma über die Straße geholfen und irgendwann einmal einer Institution ein kleines Sümmchen gespendet hat… wenn, dann hört man nun das leise Schluchzen all der Schirrmacher dieser Welt.

Und man wird sich ein wenig darüber freuen. Man muss sich lediglich vor Augen halten, dass alles frei fließt, dass das eigene Archipel schon morgen nicht mehr das Eigene sein könnte. Dass es von anderen Nutzern überrannt oder vollkommen leergefegt sein könnte.

Unser Nutzer ist sich dessen bewusst. Und er setzt diese digitalen Naturgesetze selbst konsequent um. Heute hier, morgen dort, übermorgen…

Jetzt lausche ich aber Kruses Ausführungen. Vielleicht.

Screenshots von vom verlinkten dctp-Video ()


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