auch schlafen ist eine form der kritik

diskursiv überfahren

Hegemann im Zettelkasten

„Axolotl Roadkill“, Hegemann, Plagiate, Ullstein – das alles war große Diskussions- und bleibt zugleich noch Beschäftigungstherapie. Kurz zusammengefasst: Der Roman, „Axolotl Roadkill“, einer jungen Autorin wird in den Feuilletons bisweilen euphorisch bejubelt, die neue Stimme einer Generation darin gesehen. Ein Blogger erkennt in Teilen des Romans Ähnlichkeiten zu einem anderen Buch, dass in kleinerem Verlag veröffentlicht wurde. Die Autorin gesteht daraufhin recht ungezwungen ein, ja, sie habe sich frei bei diesem Autor bedient. Das sei jedoch völlig normal. Schließlich sei dies, so die Autorin in ihrer Reaktion, für ein Kind ihrer Zeit – der digitalen Remix- und Mashup-Welten – völlig normal. In der Folge werden weitere Stellen entdeckt, weitere Plagiatsvorwürfe lauter. Der Roman wird trotzdem unbeirrt für den Leipziger Buchpreis nominiert.

Soweit, so bekannt und mehr als präsent. Und doch schreibe ich diesen Text nach Tagen und Wochen nieder. Der darf hier in meinem Zettelkasten nicht fehlen, denn es beschäftigt mich mehr, als ich zunächst dachte. Und warum auch nicht? Über zu wenige entsprechend-verwundernswerte Aufhänger kann sich diese Geschichte schließlich nicht beklagen.
Das Alter der Autorin; die ersten Reaktionen in den Feuilletons; die geradezu nach außen triefende Gleichgültigkeit der meisten Beteiligten in halbgaren Rechtfertigungen ob des erwiesenen und zugegebenen sacrilegium plagium; die Nominierung für den Buchpreis…

Oh, go on without me. Das Alter der Autorin? Idiotisch. Mir egal. Auch, dass im Feuilleton jenes Alter gekoppelt mit dieser angestrengt-bemühten, an Fick- und sonstigen Wortfloskeln zu ersticken drohender, vermeintlichen Jugendsprache inzwischen schon als Merkmal ausreichend scheint, diesen einen Beißreflex auszulösen, nach dem soetwas auf jeden Fall zur Stimme einer Generation heraufstilisiert werden muss? Donatien-Alphonse-François würde sich über diese alten Herren modernerweise diebisch freuen, bevor er sich im Grabe umdrehte. Also auch hier: geschenkt. Die Nominierung für den Leipziger Buchpreis? Ja, glaubt denn noch jemand ernsthaft daran, dass im Verlagswesen, in dieser Industrie, Integrität höher gestellt bleibt, als der schnelle, der schnöde Mammon? Der Weg der Dinge, also: geschenkt. Oder vielmehr verkauft.

Nein, darüber hinaus mag ich mich im eigenen Kasten nicht weiter verzetteln. Was mir entscheidender an der ganzen Sache anmutet und mich stärker beschäftigt als alles andere, ist schlicht die Strategie bzw. Vorgehensweise Hegemanns und ihrer Fürsprecher diese Plagiate irgendwie auch nur im Entferntesten zu rechtfertigen, kleinzureden, zu verwässern. Es ist recht bemerkenswert, denn das, was Hegemann (wohl eher unbewusst) angestoßen hat, funktioniert. Sowohl unmittelbar, wie auch auf längerer Sicht. In der unmittelbaren Variante, die keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, verschiebt sie durch das Einbringen der digitalen Lebenswelten den Diskurs hin zu übergeordnete Ebenen und somit ein Stück weit von sich fort. Was ist Plagiat, Remix und Mashup? Wie verhalten sie sich zueinander? Das ist zwar im Prinzip längst klar und trotzdem funktioniert es als dahingeworfene Nebelkerze. Es entpersonalisiert ihre Rolle, wenn sie ihr Ununikat inmitten irgendeiner vermeintlichen Kultur des Netzes platziert, damit verquickt und unterstreicht zugleich die ihr vom Feuilleton attestierte Stimme einer Generation zu sein. Durch das Aufwerfen neuer potentieller Diskussionsfelder wird zumindest ein Teil der folgenden Aufmerksamkeit von ihr gesogen. Nur Teil einer größeren Bewegung, sei sie, so mögt ihr eure Probleme doch bitte mit jener ausfechten.

Auf längerer Sicht nimmt sie mit ihrer Reaktion die Vorreiterrolle ein, als ursprünglich-gerichteter advocatus diaboli. Denn irgendwann, nach allerlei müßigen Diskussionen, Anfeindungen und Gegenstimmen, wird das Gröbste verhallt sein. Wenn sich der Staub gelegt hat, wenn das Verlagswesen an diesem wunderbaren Skandälchen genug verdient haben wird, wird man wieder völlig im Tagesgeschäft versunken sein. Eine Entscheidung über Urheberrechte und deren Anwendung im Digitalen wird über kurz oder lang zwingend bevorstehen und getroffen werden müssen. Es wird wieder mehrere Seiten geben und es würde mich dann nicht wundern, wenn auf der Seite für eine Stärkung des |Urheber|Verwertungsrechts zu diesem Zeitpunkt alle fast schon vergessen geglaubten Gegenstimmen Hegemanns und ihrer Verteidiger, in sich verkehrt und pervertiert, angeführt würden. Die Verlage führen das angebliche Desaster, das so lohnende Skandälchen, als Beleg dafür an, dass eine Stärkung ihrer Rechte unabdingbar notwendig sei. Damit sich soetwas nicht wiederholen könne. Und die heutigen Gegenstimmen würden als Fürstimmen benutzt werden. Seht ihr, ihr seid doch ebenso wenig dafür, ungehemmt zu kopieren; anderer Leute Werke zu verwenden. Unsere Positionen sind doch im Grunde identisch.

Aus einem advocatus diaboli mache viele. Ohne, dass sie es zu früh begreifen.


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