auch schlafen ist eine form der kritik

Lion Feuchtwanger. Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis.

Auch erweckt das Wunder in ihnen nichteben fromme Gefühle, eher betrachten sie es als eine großartige Stierhetze, als ein Auto sacramental ersten Ranges. Sie lehnen, diese Zuschauer, bequem an einer Balustrade, die prunkvoll behängt ist mit einem Mantón, einige Lausbuben reiten und klettern gar auf der Balustrade herum. Sie schwatzen miteinander, diese Madrilenen, machen sich einer den andern auf die Vorgänge aufmerksam. Einige sind angeregt und schauen sachverständig zu, ob der schon Verwesende auch wirklich lebendig wird, andere sind ziemlich unbeteiligt, flirten, erzählen sich Geschichten, die nicht notwendig mit dem Wunder zu tun haben. Um den Unschuldigen kümmert sich keiner.

»Trágalo, perro – Schlucks, du Hund«

Feuchtwangers Goya ist für mich mehr Künstler- denn wirklicher historischer Roman. Bezeichnet doch Der arge Weg der Erkenntnis zuvorderst Goyas späte Entwicklung zum idealisierten Künstler; die Anfänge und schließlich die Vollendung seiner Los Caprichos als Wendepunkt, als Leuchtturm, seines Werkes. Eben die Erkenntnis darum, wieviel Macht Kunst; wieviel größeres, wieviel fesselenderes und wirklich absolutes Potential ihr innewohnen kann – ein idioma universal.

Und Feuchtwanger verpackt dies in wunderschöner Sprache. Mir drängt sich bei ausladender, bei detailverliebter Schreibe sofort Thomas Mann als Vergleichsbasis auf. So gesehen könnte man über Feuchtwangers Stil im Goya sagen: Wo Mann häufig einen zwar verspielten, doch zugleich sachlich-orientierten Schreibstil besitzt, funktioniert dieser bei Feuchtwanger primär über die emotionale Komponente. Man sieht weniger deutlich, weniger pragmatisch, die von ihm evozierte Zeit, man fühlt sie stattdessen deutlicher aus den Zeilen heraus. Das macht auch innerhalb der Erzählung mehr Sinn. Der Weg der Erkenntnis (u.a.) Goyas ist bei Feuchtwanger geprägt und bestimmt von zwei Welten: der eigenen Herkunft des Malers sowie dessen Leben inmitten der Welt der Granden, des Hochadels. Früh legt der Erzählende die Grundsteine für die späteren Caprichos Goyas, indem er diesen beispielsweise stets Aussprüche oder Aktionen der gehobeneren Gesellschaft mit bekannten Volksweisheiten, Sprüchlein – eben aphoristisch – im Gedanken kommentieren lässt. Ganz zu schweigen davon, dass die einsetzende Taubheit des Künstlers wie geschaffen dafür scheint, eine Genieästhetik zu skizzieren.

Auf Feuchtwangers Goya hätte ein zweiter Teil folgen sollen, allein, es kam nie dazu. Doch im Grunde wäre eine Fortsetzung auch nicht zwingend nötig. Die Gespenster sind fiktiv-reflektiert übers Papier gekrochen, der arge Weg beschrieben und alles wirkt als große Einheit, als abgeschlossene Auseinandersetzung.

An diesem Tag, am nächsten und am übernächsten, ein zweites, ein drittes Mal und immer öfter, ließ er sie aus sich heraus, die Gespenster, aufs Papier. So hielt er sie fest, so wurde er sie los. Wenn sie übers Papier krochen und flogen, waren sie nicht mehr gefährlich.


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