auch schlafen ist eine form der kritik

TechnikMensch: Paradigmen im Zyklus

„Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, dass sowas funktioniert.“
„Und… was kostet das? […] Wirklich? Aber, das ist ja— Warum sollte das nicht kostenlos sein? Na, weil…“

Diese zwei Aussprüche wälzen sich seit Tagen in meinem Kopf herum. Aussgesprochen von meinen Eltern, als ich die Tage bei ihnen zu Besuch war, nach Beantwortung einiger ihrer Fragen eine Webcam besorgte, ihnen Skype einrichtete und kurze Zeit später das erste Video über den Bildschirm flimmerte.

Und ich glaube, sie geistern deshalb so prominent in meinem Kopf umher, weil sie wundervoll reflexiv und verdichtet die Macht-Suggestion der Gegenwart beinhalten. Diese äußert sich oft und vorzugsweise verdeckt, belächelt das Unverständnis anderer, meist älterer, Menschen ob der heutigen technischen, sowie damit einhergehender Möglichkeiten — Schau, sie verstehen es einfach nicht. Man kennt das.

Doch man selbst versteht es natürlich (noch so ein verabsolutiert-suggerierter Blödsinn), die Suggestion der gegenwärtigen, egoistisch-technischen Überheblichkeit lässt die Wenigsten fragen: Warum setze ich gerade jetzt voraus, dass sich ein solches Unverständnis bei mir später nicht ebenso einstellt? Und noch weniger scheinen den tatsächlichen Hintergrund zu erfassen—

Wenn für mich die Lektüre von Illichs Weinberg eines aufgezeigt hat, dann den potentiell-zyklischen Ablauf des Menschens in der und durch die Technik. Was die obigen zwei Sätze für mich so bedeutsam erscheinen lässt, ist der Umstand, dass in ihnen der Ablauf komprimiert zu finden ist. Denn jener Zyklus besteht pro Durchgang parallel aus zwei Kreisen, welche unterschiedliche Radien besitzen.

Der erste Kreis – der kleinere von beiden – beinhaltet und bezeichnet das rein technische Verständnis („[… dass sowas funktioniert…“). Also die Beobachtung, das Verstehen und die Handhabung (erlernen und anwenden) jedweder neuen Technik.

Der zweite Kreis ist größer, weil er nicht das rein technische Verstehen beinhaltet, sondern das Begreifen der kulturellen Tragweite jener neuen Technik („Warum sollte das nicht kostenlos sein? Na, weil…“). Es geht darin also nicht um ihre alltägliche Anwendung, ihre Selbstverständlichkeit, sondern um die von der Technik zwangsläufig ausgehende Veränderung des Denkens. Es ist der Kreis des Begreifens oder: der vollkommenen seelisch-geistigen Aneignung.

Es liegt somit in der Natur beider Kreisebenen, dass das rein technische Verständnis von uns schneller umrundet werden-; dass sein Radius gemeinhin als einziges Gebilde von beiden während eines Durchganges überhaupt vollständig beschritten werden kann. Denn immer steht schon die nächste Technik an, um den ihr zustehenden Zyklus einzuläuten, während man den größeren Kreis des Begreifens nur halb beschritten und erfasst hat. Das ist allgegenwärtig und doch erlaubt es die Macht-Suggestion der Gegenwart nur höchst selten, dies zu erleben und somit aktiv zu begreifen. Der Zyklus mit seinen kreisrunden Läufen verlangt nämlich nicht, jene auch wirklich zu umrunden.
Während die Gegenwärtigen also das Unverständnis älterer Generation so stark als Kontrast empfinden – sich selbst als davon abgegrenzt sehen – befinden sie sich schon längst in einem früheren Stadium der Unverständlichkeit, ohne es wirklich und wahrhaftig zu realisieren. Die Zyklen müssen nicht auf die Gegenwärtigen warten, warum sollten sie auch?

Das eigentlich Gemeine (in jeglicher Bedeutung) an den Zyklen ist überdies der Umstand, dass die jeweiligen Kreise Kurven sind. Sie besitzen Anfangs- sowie Endpunkt. Im wahrsten Sinne. Es ist nicht damit getan, zu versuchen, auf beiden Ebenen die Umrundung einmalig zu vollziehen; das ist – wie oben beschrieben – aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit ohnehin kaum möglich. Gesetzt dem Fall, man würde dies schaffen – der nächste Zyklus ist schon im vollen Gange. Der vermeintliche Endpunkt, die als Ziel gedeutete Position, ist in jenen kommenden Zyklen null und nichtig. Das Spiel der Durchgänge endet nicht. Das bedeutet nun nicht, dass wirklicher Fortschritt unmöglich sei. Es heißt schlicht, dass Fortschritt recht unwahrscheinlich ist, sofern man nicht auf zumindest einem der Kreise mehr als eine einzige Umrundung während des Durchgangs schafft. Und selbst dieser Vorteil kann nichts bedeuten, wenn sich der nächste Zyklus in vollkommen diametralen Sphären vollzieht.

Als Mensch rennen wir uns selbst hinterher. Diejenigen, welche derzeit auf die Unverständigen herabblicken, sollten sich das hin und wieder bewusst machen. Als Vorbereitung.


Eine Antwort

  1. Ja. Ja. Ja und nochmal ja. Das für uns besonders grausame: Es steht zu befürchten, dass die Technik für uns – anders als bei den vorhergehenden Kurven – nichteinmal in Gestalt einer neuen Maschine, neuer Atom-Interfaces daher kommen wird. Die neuen Techniken werden IN den uns vertrauten auftauchen und unserer Verwirrung daher nur vergrößern.

    Ich ziehe für’s Alter ernsthaft eine medialen Totalrückzug auf’s Buch in Betracht.

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