auch schlafen ist eine form der kritik

Wahlkampf. Ich beiße bald in Hände.

Und weil ich gerade auf dem Plakat-Trip zu sein scheine: Ist ja nicht auszuhalten, was einem in Bielefeld gerade so alles plakativ versucht, anzulächeln.

Der SPD-Mann PIT [bitte möglichst laut und ekstatisch ausrufen, Nachname ist zu vernachlässigen] Clausen grinst einem fast schon dumm-froh unter dem Spruch „Bielefeld in gute Hände…“ – nebst vier variablen Zusätzen (Favorit: „… ein schöneres Leben“) – an. Auf seiner Webseite wird textlich dem peinlichen Nix-„Ich bin wir ihr“-Stil gefröhnt. Du bist toll, du bist locker, du bist so flapsig, wir sehen es. Clausen ist darüberhinaus allmächtig, so scheint es. Denn er verschönert nicht nur das Leben (… weil er existiert?), nein – er verbessert außerdem die Familienfreundlichkeit (besucht er mich und meine Familie bei einem Wahlsieg?), sorgt für gute Arbeit (bringt er mir bei, an der Arbeit so zu grinsen wie er das kann, um deren Qualität zu steigern?) und – aufgepasst – macht „besseres Klima“.

Ich traue mich gar nicht nach dem Wie zu fragen. Oh, Pit. Pit, Pit, Pit. Pitiful.

Bernd Landgraf, die Hoffnung der hiesigen CDU, liebt die Kamera. Man merkt es. Das ist geradezu eine Hassliebe. Da soll er doch tatsächlich lächeln und dabei noch locker und lässig wirken. All das zugleich; dazu noch auf Kommando. So im Akkord ist das anstrengend, geht aber wunderbar d’accord mit der herausstechensten Eigenschaft Landgrafs: angestrengt sein. Ob er das in allen Lebenslagen ist, weiß man nicht. Ich weiß aber, dass er sich in einem Bereich nicht anstrengt: der Verbesserung. Landgraf und seine Slogan-schmiedenden Mannen widersetzen sich ihr. Das ist sympathisch, wenn er plakativ verlautbaren lässt „Bildung. Arbeit. Zukunft.“ und das alles unter den Überspruch stellt „Bielefeld bleibt besser“. Hört ihr, Mitkandidaten? Bielefeld ist schon gut-besser, dass muss nicht besser-er-er werden. Ganz einfach. Die deutsche Sprache schreit auf; Landgraf ringt sich ein dezentes Lächeln ab und streckt die rechte Hand entgegen.

Marianne Weiß von den Grünen (wir dürfen sie einfach Marianne nennen, wie nett) scheint sich ihrer Sache selbst nicht so sicher. Auf ihrem Plakat steht sie mit Fahrrad-Lenker in der Hand (keine Sorge, das dazugehörige Fahrrad ist ebenfalls zu sehen) da, als hätte man sie just vor dem Einkauf erwischt. Das Pappschild mit Aufschrift vor dem Lenker lässt jedoch erahnen, wie es um ihre Spontanität bestellt sein dürfte.

Verzweifelt flehen die Buchstaben darauf: „Bielefeld, trau dich!“ und Bielefeld ruft lauthals zurück: „Ja, ja was denn?“. Noch verwirrter als Bielefeld, sind da wohl die Bielefelder. Da Inhalte, auch zwangsweise kurze, wie bei ihren Kollegen verpönt zu sein scheinen, beziehe ich die Aufforderung für mich einfach auf sie selbst. Wählt Marianne, na los, macht schon. Oder seid ihr zu feige? Traut euch. Aber was? Was auch immer. Genau das.

Ach, FDP. Was soll man zu dieser Durchfallerkrankung eines Plakates noch sagen? Es ist verständlich, dass kein Geld für einen richtigen, einen wirklich echten Grafiker, für einen Gestalter, einer studentischen Aushilfe oder auch nur für irgendeinen anderen halbwegs fähigen Macher vorhanden ist. Das Geld ist verreist, das muss schließlich woanders für sich selbst arbeiten. Aber wie soll ich denn dem Versprechen von Arbeitsplätzen glauben, wenn es die FDP offensichtlich nicht einmal schafft, eine befristete Stelle für die Gestaltung ihrer Plakate zu vergeben?

Wenigstens sollte man der alten Frau (also die FDP, nicht Buschmann) zugute halten, dass sie sich auf das Ursprüngliche, auf das Nicht-Gegenständige eines Plakates reduziert hat. Ein kerniger, ein abgegriffener Slogan, darunter das Gesicht des Kandidaten – da weiß man wenigstens, was man nicht bekommt. Zurück zu den Wurzeln. Im nächsten Wahlkampf werden wieder großformatige Holzschnitte ausgepackt.

Ich erinnere mich noch an die angebrachten Plakate einer vorherigen Wahl, bei dem diese Partei gnadenlos ins Klo gegriffen hatte. Viel Text, dazu viel vermeintliche Erklärung. Ansich ja nicht schlecht— hätte der Gestalter nur nicht die fixe Idee gehabt, gerade die mit negativen Konnotationen versehenen Worte in größerer Schrift zu setzen. Das Ende vom Lied: Zu sehen war in Entfernungen ab 5 Meter einzig der Parteiname plus jene negativ-besetzten Worte. Das war zwar ungemein lustig, wohl aber nicht im Sinne der Verantwortlichen.

Wenn DIE LINKE [Publikum zu mir: Brüll nicht so!] bei dieser Wahl eins richtig macht, dann ihre Plakate. Wirklich: Da ist eine Aussage zu sehen (ungeachtet der eigenen Ansichten), bei der ich sofort weiß, was sie zu bedeuten hat; was sie will. Anstatt irgendeines Politikers, gibt es ein für das Kurzthema relevantes Bild und für möglicherweise dadurch Interessierte, ist die Adresse der eigenen Internetpräsenz nicht irgendwo links oder rechts in funzliger Kleinschrift versteckt (ich glaube, nur die Grünen haben ihre URL relativ prominent auf den Plakaten platziert). Sollte ein Plakat plakativ nicht genau das sein? Zwar keinen Mehrwert besitzen, überflüßig hoch drei sein- das aber wenigstens gekonnt?

Eine Empfehlung an alle Parteien: Zu Beginn und am Ende von Wahlkampfveranstaltungen deuten die Beteiligten gerne in die Menge, als hätten sie dort unerwartet irgendwelche Bekannte gesehen. Der Fingerzeig (der halbe, mit angewinkeltem Zeigefinger und leicht geöffneter Hand, um ja nicht zu aggressiv und forsch zu wirken) auf euren Plakaten schlägt in die gleiche Kerbe. Das suggeriert mir nicht, dass der Abgebildete mich, genau mich, anspricht- das wirkt wie eine latente Erkrankung. Eine schwerwiegende Mischform der Idioteritis und Gelarschlochfluenza. Ich würde dem Kasper, wer immer es auch gerade sein möge, in persönlicher Anwesenheit ohne zu zögern selbigen Finger gekonnt abbeißen und ob des furchtbaren Geschmackes umgehend zurück in dessen Gesicht spucken. Eine Form der Aggressionsbewältigung.

Nur so als ungehörter Hinweis.


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