auch schlafen ist eine form der kritik

Was bleibt einem dann übrig?

Wir sitzen auf dem kalten Balkon und blicken über Park und Häuser, über die Geräusche der Stadt, hinweg Richtung Horizont. Schlimm, was da passiert ist mit dem Mädchen, hebt sie an, bevor sie wieder verstummt und mich fragend anschaut. Dinge passieren, so ist das Leben, entgegne ich ihr etwas unbeholfen. Was soll man dazu auch sagen, ohne in das gleiche Schema der Bedrücktheit zu rutschen?

Im Wald haben sie sie gefunden, setzt sie schwer an. Mir wird es zu bedrückend. Ich gleite in das ab, was andere vielleicht als morbide ansehen. Was ich mich frage: Warum immer Waldstücke? Erst schaut sie mich mit großen Augen an, dann antwortet sie, weil Opfer dort nur schwer gefunden werden können. Nicht wirklich, entgegne ich und flachse ein wenig herum: Wie oft liest man schließlich ‚in einem Waldgebiet gefunden‘? Warum nicht einmal gegen das Klischee und ein Industriegebiet auswählen? Sie lacht kurz, schaut dann wieder zum Horizont, welcher sich zunehmend verdunkelt. Die Stimmung konnte das nur kurzzeitig aufhellen.

Der Mann läuft aber immer noch frei rum, das macht mir Angst, meint sie und ich kann es verstehen, sie hat selbst eine kleine Tochter. Aber damit trifft sie einen Punkt bei mir, der mir immer Irritation bereitet und ich frage knapp, warum ihr das Angst bereite. Er ist noch da draußen, er kann es wieder tun, da bekomme ich Angst, da kann man nicht sicher sein, entgegnet sie. Aber ist das nicht völlig absurd? Gedanken einzig darum kreisen zu lassen, was irgendwo, irgendeine Person macht und nur deshalb Angst um sich selbst und seine Familie zu haben? Und warum nur bei solchen Sachen? Es gibt soviele schlechte Dinge auf der Welt. Wäre man konsequent, müsste man zuhause in den eigenen vier Wänden bleiben, sich eine Decke über den Kopf ziehen und dürfte die eigene Wohnung auf Lebenszeit nicht mehr verlassen. Sicherheit gibt es nicht, gebe ich ihr zu bedenken. Ja, stimmt ja auch. Aber was bleibt einem dann sonst übrig, fragt sie, was gibt Kraft? Der Glaube?

Soweit würde ich nicht gehen, antworte ich, wahrscheinlich zu lakonisch. Das scheint sie zu überraschen. Ach, glaubst du nicht? Hast du keinen Glauben?Nein, zumindest keinen, wie du ihn wohl hast, entgegne ich ihr, Dinge passieren, das Leben passiert, und wir entscheiden in diesem Leben. Wir haben nur dieses eine. Davon- gehe ich aus. Ich lehne mich zurück, es folgt ein kurzer schweigsamer Moment. Aber ist das alles? Also, für uns, beginnt sie, rollt dabei leicht mit den Augen, um anzudeuten, dass sie dieses ausgesprochene „uns“ wohl selbst ein bisschen unsinnig findet, ist Allah allsehend und dabei barmherzig und gnädig. Es gibt Dschanna und Dschahannam und wir selbst bestimmen, wohin wir kommen. Dadurch, wie wir unser Leben leben. Ich lächel sie an, lehne mich vor. Dann gehen wir beide das Leben ja gleich an. Bei mir fallen nur Himmel und Hölle weg, zwinker ich ihr zu. Im Grunde bleibt es dabei: wir entscheiden für uns, in diesem Leben. Es ist ruhig.

Trotzdem macht es einem Angst, und sie hält kurz inne. Sollte es nicht, meine ich zu ihr, während die Lichter der Stadt funkeln. Sie verabschiedet sich von mir und geht ihres Weges. Wahrscheinlich heim, zu ihrer Liebsten. Ich bleibe sitzen vor der nun angekommenen Dunkelheit und genieße die allzu menschliche Geräuschkulisse in ihr.


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