auch schlafen ist eine form der kritik

Rhetorisches. Mit der Justizministerin.

Brigitte Zypries im SZ-Interview zur inneren Sicherheit, Grundrechten und Steuerhinterziehung.

Das Interview wurde von Susanne Höll und Heribert Prantl geführt. Kann rein subjektiv sein, ist es wahrscheinlich auch, aber die Teilhabe von Prantl merkt man. Mal wieder ein Interview, dass sich nicht wie eine PR-Meldung liest — in dem auch mal nachgehakt, Contra gegeben und Aussagen nicht einfach nur im Raum stehen gelassen werden. Und gerade weiss ich nicht, welche der Antworten ich interessanter (will heissen: belustigender, erschreckender, sprachlich bemerkenswerter ect.) finden soll. Mal schauen

Vielleicht mit dem Metaphernschieben anfangen. Die Befragenden vergleichen die innere Sicherheit mit einer Burg: Politiker setzen immer neue Steine auf die Mauer. Um nur einen vielleicht falschgesetzten Stein vom Verfassungsgericht wieder entfernen zu können, bedarf es viel Zeit. Und währenddessen setzen die Bauherren gleich mehrere neue Reihen Steine auf die Mauer. Frau Zypries findet nun, da würde der Fragensteller übertreiben und wählt lieber „ein anderes Bild“:

Es werden vom Gesetzgeber Balkone angesetzt, und manchmal muss der eine oder andere zurückgebaut werden.

Einmal davon abgesehen, dass man bei der Frage zwar übertreibt, dabei aber im Grundtenor scheinbar implizit richtig zu liegen scheint, frage ich mich bei diesem Bild voller Sorge, ob während des „Zurückbaus“ noch Menschen auf dem Balkon stehen könnten. Hoffentlich nicht.

Auf die Frage, ob man bei aller öffentlicher Terror-Fixierung nicht einmal über die Grenzen reden müsste, die trotz des Falls einer ernsten Bedrohung aus Überzeugung nicht überschritten werden dürfen, antwortet Frau Zypries:

Die Frage nach dem Rubikon ist so abstrakt schwer zu beantworten, weil die Grenze auch von der Bedrohungslage abhängt. In Deutschland gab es noch keinen Terror-Anschlag wie in Großbritannien oder Spanien.

Das ist gekonnt. Die Frage gibt impliziert, vollkommen zu Recht, zu bedenken, dass es Absolute gibt, nicht nur rechtliche, sondern ebenso und vielleicht noch stärker, moralische sowie ethische. Zypries gibt an anderer Stelle im Interview, auch vollkommen zu Recht, zu verstehen, dass man eben zum Beispiel als Bundesinnenminister zwischen zwei Stühlen sitzt: einerseits die Wahrung des Rechtsstaates, andererseits aber auch die Sicherheitswahrung. Nun belässt es die Justizministerin aber geschickterweise nicht bei der einfachen, aber zumindest ehrlicheren, Antwort, dass die Sicherheit über allem steht. Sofort wird wieder Richtung Terror geschwenkt, Richtung Bedrohungsumgebung. Ja, wären ja ganz toll, solche grundrechtsmäßigen Absolute, aber seht doch: es ist unsicher! Zum Glück wurden wir hier noch nicht getroffen und das soll auch so bleiben! Und schon hat man in einem Satz augenscheinliche Legitimation geliefert, ohne direkt zu sagen, dass man „alles“ für die liebe Sicherheit tun würde.

Und hier ist die Stelle, die das Interview in oben erwähnter Weise lesenswert macht. Denn wo sich in der Vergangenheit mehrheitlich mit solchen Sprachfetzen zufriedengegeben worden ist, wird nachgehakt. Die passende Frage lautet daher anschließend dezent, ob somit Grundrechte unter „Terror-Realisierungsvorbehalt“ stehen würden. Und genau hier wird Frau Zypries geradezu zu einer klaren Antwort genötigt.

In gewisser Weise ja. Es nützt mir doch mein bestes Grundrecht nichts, wenn ich konkret fürchten muss, dass abends in der U-Bahn eine Bombe hochgehen kann. Da muss man sich Sicherheitsmaßnahmen überlegen. Die müssen aber die Grundrechte nicht massiv einschränken.

Der Interviewer hat sie gepackt und kann sich die süffisante Bemerkung, Frau Zypries würde irgendwie nach Herrn Schäuble klingen, nicht verkneifen. Die Entgegnung, dass verantwortungsvolle Gesetzgebung auf Gefahren angemessen und im „verfassungsrechtlichen Sinne verhältnismäßig“ regieren müsse, ist dann auch nur rhetorisches Bla. Denn es folgt der Schlußsatz der Antwort;

Zypries: […] Eine abstrakte Liste von absolut verbotenen Maßnahmen hilft uns da nicht weiter.

SZ: Und die ehernen Grundsätze: Keine Todesstrafe? Keine Folter? Die Menschenwürde?

Die sind natürlich ehern und „gelten, ohne Wenn und Aber“, so die Entgegnung. Treffer und versenkt, liebe Frau Höll und lieber Herr Prantl. Gratulation. Ein paar Runden einmal wirklich „Frage, Antwort und Diskussion“ gespielt und es offenbaren sich platte Griffe in die Rhetorikkiste. Denn wenn man vorher prinzipiell dazu übergeht, die Ausnahme der Regel zu beschwören, zu sagen, dass Grundrechte der Sicherheit bisweilen nachstehen müssten — zumindest „gedehnt“ werden können und wohl auch im Falle eines Falles sollten — um aber daraufhin gleich beschwichtigend zu versichern, dass eine ausgewählte Zahl jener Rechte nie, nie und nie angerührt würde, dann ist das so eine Sache. Sorgt dafür, dass die Glaubwürdigkeit solcher Versicherungen, wie soll man es ausdrücken, ein wenig gemindert wird. Ergibt am Ende doch eher als Aussage ein: Machen wir nicht! Punkt. Naja, wir haben es zumindest aktuell nicht vor.

Abschließend gibt Frau Zypries zusätzlich wichtige Denkanstöße und ich denke, dass sich diese paar Zeilen redlich den ersten Phrasenplatz bei mir verdient haben. Denn geködert mit der Frage, ob im politischem Zirkus zu häufig das Wort „Menschenwürde“ fällt, gibt die Justizministerin (sic) die überaus weisen Worte von sich:

Ja. Bevor man sich auf Artikel eins stürzt, sollte man sich den Schutzbereich anderer Grundrechtsnormen anschauen. Die Menschenwürde ist das höchste Gut der Verfassung. Man sollte sie also nicht bei jedem Alltagsproblem in den Mund nehmen, wenn man sie nicht auf Dauer entwerten will.

Eben. Menschenrechte. Bloß nicht zu häufig erwähnen, macht das Ganze schließlich für alles Nachfolgende billiger. Ich muss schließlich das Gefühl haben, dass ich mir die Würde so richtig verdient habe.


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