auch schlafen ist eine form der kritik

Sprechzeugnis

Als ich in den Raum komme und mich an den Tisch zu den drei anderen Kindern setzen muss, fühle ich mich unwohl. Jeder von uns ist mucksmäuschenstill, während die zwei Erwachsenen uns das Brettspiel erklären. Es heißt „Besuch in Heiligendamm“. Wir sollen Sätze nachsprechen, dafür bekommen wir dann Punkte, sagt eine der erwachsenen Frauen. Wir müssen einmal um Heiligendamm drumherum gehen.

Es geht los und jeder von uns wiederholt einen Satz, seinen eigenen Satz. „Wolfgang ist ein netter Kerl“, „Der Gipfel war ein voller Erfolg“, „Auslands-Merkel ist die Beste“ antworten die drei Anderen nacheinander. Die machen das gut, die Frau mit dem Papier und dem Stift schreibt viel auf, bestimmt die Punkte. Die Frau, die uns die Sätze vorsagt, lobt und sagt freundlich „Das hast du gut gemacht“ zu jedem. Ich bin an der Reihe, höre meinen Satz und denke mir, dass ich auch gerne so gelobt werden will. Um besser zu sein, mache ich aus dem einen Satz gleich zwei. „Das ist ein klarer Fall. Ein tiefer Sturz der Amtshilfe.“ sage ich ganz stolz und strahle fröhlich die Lobende an. Die mit dem Papier und dem Stift schreibt kurz etwas auf und schaut dann die an, die immer lobt. „Gut. Mach einfach weiter so…“ sagt sie mir. Aber nicht so freundlich. Ich bin traurig.

Irgendwann sind wir mit dem Spiel fertig, haben Heiligendamm durchgespielt. Die beiden Frauen bringen uns in unseren Raum zurück. Der ist gegenüber. Wir dürfen wieder spielen. Ich sehe durchs Fenster, wie ein gut angezogener Mann vorbeigeht und an der Tür zum Heiligendammraum anklopft. Die zwei Erwachsenen von vorhin begrüßen ihn und er lächelt sie an. Dann geht er zu ihnen rein. Etwas später kommen die zwei Erwachsenen und der Mann wieder heraus und alle begrüßen uns. Die Frauen halten lachend und lächelnd viele vollgeschriebene Blätter nach oben und sagen, dass ich und die anderen drei Kinder das Spiel gewonnen haben, die aber noch mehr als ich. Und der gut angezogene Mann hat von uns allen am besten gewonnen. Warum, verstehe ich nicht. Die umarmen sich alle ganz fröhlich, dann sagt der Mann aber, dass er jetzt wieder zu seiner Arbeit muss. Er muss ins Fernsehen und Neuigkeiten ansagen. Stimmt, den habe ich da schonmal gesehen. Die anderen Kinder sind so glücklich, dass sie alles richtig gemacht haben. Ich mache mir aber Sorgen.


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