auch schlafen ist eine form der kritik

Absurde Zeitlichkeit

Was war das damals toll. Der erste Kauf eines analogen Modems, das Einstöpseln, der erste Verbindungsaufbau mitsamt des lieblichen Quietschens und schließlich die erste aufgerufene Seite zur Websuche – yahoo.de. Komische Zeiten. Jedenfalls hat man die Suchergebnisse auf sich einregnen lassen und einfach mal alles angeklickt, was den eigenen Interessen hätte entsprechen können. Die Wartezeit beim Seitenaufbau wurde durch Spannung und Freude überdeckt. Man landete schließlich auf vielen Seiten, verweilte darauf mehr oder minder lange und machte sich flugs auf zur nächsten. Schön nacheinander. Tabbed Browsing war bei diesen Bandbreiten noch ein Traum. Aber auch einspurig war alles so furchtbar neu und aufregend, man wusste sofort: „Dich geb‘ ich nicht mehr her, Internet.“

Dann kam am Ende des Monats die erste Rechnung und eine Entscheidung stand bevor: Das höchste Gut, sprich: die eigenen Faulheit oder die schöne neue Welt? So wurde man dann Zeitungsausträger, auch wenn Prospekteverteiler passender gewesen wäre. Die Finanzierung der damals horrenden Preise war damit zunächst gut zu bewältigen und auch wenn man danach die nächsten 2 Jahre keinen Sonntag mehr ausschlafen konnte, tat man es. Nicht gerne, wann denn jemals? – aber man tat es. Was war auch die Qual des morgentlichen Schlafwandelns gegen die überwältigende Netzwelt und den damit verbundenen Möglichkeiten? Denn die Interessen hatten sich unter anderem sehr schnell in eine genaue Richtung entwickelt. So saß man also Samstagabend/-nacht vor PC & dem tönenden kleinen Modemkasten und beaufsichtigte wichtige Downloads. Mindestens 6 Stunden lang. Nur damit man am Ende etwas hören oder im Briefmarkenformat brandaktuell sehen konnte. Die Nacht neigte sich nach Abschluß dieser Tätigkeiten meist dem Ende entgegen, so dass man gleich wachblieb, um der sonntäglichen Aufgabe nachzugehen.

So sollte das Ganze auch mehr oder weniger noch runde 4 Jahre weitergehen. Bis einem endlich selbst, nach einem Umzug, die DSL-Welt offenstand. Den Beruf des Nachtwächters hätte man daraufhin aufgeben können und Webseiten nacheinander öffnen, das erschien plötzlich so absurd, wie ein Geräusche von sich gebendes Modem. Im Laufe der Zeit ging das Ganze sogar noch viel schneller, aber man begnügte sich mit dem unteren Mittelmaß. Und nun?

Nun greift man seit einigen Tagen, trotz schöner DSL-Welt, so schnell auf das weite Netz zu, wie es schon vor 7 Jahren der Fall gewesen ist. Und man lernt es mitunter zu schätzen. Keine Hektik mehr. Alles braucht seine Zeit und man gibt sie gerne. Nachwächter spielt man nicht mehr, sondern verbringt die geschaffene Zeit mit mehr oder weniger sinnvollen Dingen. Es ist, als würde der bequeme CD-Spieler ausfallen, so dass man auf den alten Plattenspieler zurückgreifen muss. Und man merkt dabei, wie schön dieses physische Medium mit dem Anfassen, dem Auflegen und dem Setzen des Tonabnehmers doch im Vergleich zum Modernen eigentlich ist. Eine mitunter lächerlich rückblickende Wertschätzung dessen, was nun echt wirkt.

Was ist das heute toll.


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