auch schlafen ist eine form der kritik

Vom fotzigen Ryan

Idealvorstellungen oder auch einfache Klischees sind schon eine feine Sache. Früher hat man die als Gymnasialschüler von anderen bisweilen mitbekommen, wenn jemand fragte, auf welche Schule man denn ginge. Mit anderen Vorstellungen ging das nach dem Abitur, also mitten im Zivi-Alltag, fröhlich weiter. Anschließend haben die mitunter vielsagenden Reaktionen der Leute auf jene Antwort, aktuelle ein „Studieren… oder so.“, auch nicht nachgelassen. Dieser immer wieder auftretende Blick der Fragenden, der geradezu das Öffnen und Schließen der Schubladen spürbar werden lässt, ist immer wieder aufs Neue verwirrend.

Vielleicht sollten sich diese Leute einmal auch nur einen Tag in jenen Institutionen aufhalten. Sie würden dieses dezent aggressiv-eingeschüchterte Verhalten sofort ablegen. Ja, sie müssten sich prinzipiell nur einmal für ca. 45 Minuten zu einer der zahlreich vorhandenen Grüppchen stellen. Was man dort mitbekommt, würde wohl deren gesamtes Weltbild etwas ins Wanken bringen.

So stand ich letztens mit den lieben Kommilitonen wartend vor einem Raum, als mir wieder einmal Nuhrs Satz, die Evolution wäre nicht das Wahre, weil sie die Augen und nicht die Ohren verschließbar gemacht hat, in den Sinn kam. Der mp3-Player war zuhause und so durfte ich & jeder der Anwesenden das Gespräch zweier Damen belauschen, die sich zuerst ausgiebig über zurückliegende Kaufräusche in Klamottenläden, was sie überhaupt nicht tragen könnten und welche Sachen sie sich gerne kaufen oder zumindest einmal anprobieren würden, unterhielten, um sich anschließend story-mässig bei „The O.C.“ auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Jetzt weiss ich wenigstens, dass „der Ryan der Melissa nachtrauert, die sich mit irgendeinem anderen Kerl abgibt“. Schön.

Man muss über solche Dinge auch einfach mal reden, sonst wäre das triste Uni-Leben ja offensichtlich trist. Und wer verdenkt es unserer männlichen Bildungselite, wenn diese sich in einer anspruchsvollen Vorlesung zur semantischen Logik viel lieber über Wrestling, Autos und Frauen unterhalten wollen? Wer mit den schweren, oben erwähnten, Klischees und Vorstellungen der Leute täglich fertig werden muss, darf wenigstens in vertrauter Umgebung er selbst sein.

Auch wenn dies bedeutet, dass man das genau umgekehrte Ideal eines wissbegierigen und intellektuell geschulten Menschens für kurze Zeit über Bord werfen muss. Anspruch besteht schließlich die meiste Zeit nur nach aussen hin. So fasst es die gerade eben mitverfolgte Episode in einem Kurs wohl am besten zusammen.

Der Prof schreibt den Begriff „fuzzy logic“ digital an die große Leinwand. Zwei Mädels eine Reihe hinter mir rätseln daraufhin, ein paar Sekunden später, lautstark:

M1: „Äh, was soll das denn da heissen?“
M2: „‚fotzi Logik‘ steht da.“
M1: (merklich verwirrt) „Hm, wie schreib‘ ich das denn?“
M2: „f-o-z-z-y.“
M1: „Ah, danke.“

Also, liebe Schubladen-Denker: Bei der nächsten Antwort nicht sofort gedanklich in ein Fach einordnen & ein wenig eingeschüchtert reagieren. Viel eher Beileid und Mitgefühl aussprechen. Gott weiss, dass wir armen Leute es gebrauchen können. Gut, ein wenig lachen dürft ihr auch. Ausnahmsweise.


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