auch schlafen ist eine form der kritik

»Killerspiele doch gefährlich!«

ndanger (flickr / CC)

So titelt die Neue Rheinische Zeitung redundant einen Artikel, der zwischen Lobbyismusvorwürfen am „Institut zur Förderung von Medienkompetenz“ der FH Köln als Aufhänger für den Aufruf besorgter Menschen dienen darf. Allein der Titel entspricht schon klar dem propagierten „Selbstverständnis„:

Die JournalistInnen der NRhZ zeigen Zusammenhänge auf und geben den Leserinnen und Lesern so die Möglichkeit, eigene Schlüsse zu ziehen.

Der Aufruf selbst ist ein zweiseitiges Pamphlet von diversen engagierten Menschen. Diese haben den modernen Teufel ausgemacht und versuchen nun zu warnen: „Wie kommt der Krieg in die Köpfe – und in die Herzen? Kölner Aufruf gegen Computergewalt“ (pdf):

5-, 15- und 25jährige sitzen heute Stunden, Tage und Nächte vor Computern und Spielekonsolen. In „Spielen“ wie „Counter-Strike“, „Doom 3“, „Call of Duty“, „Halo 3“, “Crysis”, “Grand Theft Auto IV“ u.a. üben sie systematisches und exzessives Töten mit Waffen vom Maschinengewehr bis zur Kettensäge. Sie demütigen, foltern, verstümmeln, zerstückeln, erschießen und zersägen Menschen an ihren Bildschirmen.

Ich habe von den genannten Spielen zwar Halo 3 nicht gespielt, aber sollte man dort Menschen zersägen, zerstückeln, foltern und/oder demütigen (eindeutig gemeint ist hier wohl das verstörende pwnd! im Falle einer Niederlage) können, bin ich diesem gefahrvollen Einfluß gerade so entgangen. Die anderen? Not so much. Gleich zu Beginn die eigene Versiertheit offenlegen – immer ein guter Einstieg. Aber auf die kommt es ja leider nicht an.

Längst ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Mediengewalt und vor allem Killerspiele verheerende Wirkungen insbesondere auf Kinder und Jugendliche haben. Ebenso ist im Alltag von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern längst unübersehbar, dass Kinder und Jugendliche durch Computerspiele aggressiver, gewalttätiger und abgestumpfter werden. Belegt ist: Je brutaler die Spiele sind und je mehr Zeit die Kinder damit vergeuden, desto schlechter sind die Schulleistungen.

Viele Eltern sind verzweifelt, Lehrerinnen und Lehrer haben mit steigender Brutalität und Schulversagen zu kämpfen.

Gemerkt? Wissenschaftlich kann die These, dass (übertriebener) Videospielkonsum zu schlechteren schulischen Leistungen führe, wenigstens gestützt bzw. untermauert werden. Mehr aber auch nicht, denn Gewaltbereitschaft durch Videospiele– da verhält es sich ein wenig anders, um nicht zu sagen: unschlüssiger. Daher, man muss den aufbauenden Dreh zur gewaltbereiten Jugend ja irgendwie hinbekommen, sind die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche (wissenschaftlich „nachgewiesen“) so diffus-unausgeschrieben verheerend. Dass solcherlei Spiele aggressiver, gewalttätiger ect. machen, das wiederum ist dann der folgende, suggeriert-subjektive Eindruck von einzelnen Personen/Personengruppen. Ein kleiner aber feiner Unterschied, nicht?1

Danach reagieren sich die Aufrufenden an bekannter Pseudo-Argumention ab. „Killerspiele“ seien eben Trainingssimulatoren für Töten, Morden, Meucheln und derlei zu oft stattfindenden Taten. Das entspricht in etwa so sehr der Realität, wie der Umstand, dass meine Übungseinheiten mit Guitar Hero mich auf eine Karriere als Bassisten vorbereiten. Aber sei’s drum. Besonders schön wird es, wenn die Aufrufenden dann doch einmal einen Punkt treffen, der durchaus von Belang ist, sie dabei aber hoffnungslos radikal über das Ziel hinausschiessen (pardon)

Die US-Armee setzt Computerspiele zur Anwerbung von Soldaten ein (z.B. www.americasarmy.com). Games-Konzerne dienen somit als Teil des militärisch-industriell-medialen Komplexes dazu, mit „Spielen“ die künftigen Soldaten heranzuziehen. Das Alltagsleben wird vom Krieg durchdrungen, um Akzeptanz für die derzeitigen und künftigen Kriege zu schaffen.

Das Spiel war schon immer, ist es immer noch und wird auf ewig Teil zivilisatorischer Gegenwart sein. Es ist ein kultureller Dreh- und Angelpunkt. Der spielerische Umgang mit den Dingen, das ist nichts Schlechtes. Zugleich bedeutet diese tiefe Verwurzelung im Menschsein, dass das Spiel als solches stets Fazination und somit Wirkung besitzt. Der Schritt zum Einsatz als Werbeplattform ist daher naheliegend. Es mag verdammenswert sein, man mag es abscheulich in diesem Kontext finden, aber es ist der Lauf der Dinge. Es ist ein Teil grundlegender Konsequenz, die sich auch sonst in den unterschiedlichsten menschlichen Aktivitäten widerspiegelt. Daher, liebe Aufschrei|ende|rufende:

Diese Spiele sind somit massive Angriffe auf Menschenrechte, Völkerrecht und Grundgesetz. Warum also wird hiergegen nichts unternommen?

Weil es im Grunde immernoch… Spiele sind. Verdammte Spiele ihrer jeweiligen Zeit. Zur Erinnerung: Es gab Zeiten, in denen die Kirche das Schachspiel missbilligte. Klingt absurd, oder? Aber was ist es anderes, als eine abstrakte Darstellung einer kriegerischen Handlung? Der entscheidende Punkt, damals wie heute: der eigentliche Wert, die eigentliche Bedeutung des Ganzen ist nicht allein im Offensichtlichen zu suchen und zu finden. Sie liegt jenseits ihrer reinen Oberfläche. Und um diese Bedeutung erkennen zu können, reicht das bloße Zuschauen und Urteil von außerhalb nicht aus. Wird der Bedeutung des Spiel im Spiel nicht gerecht. Das Medium ändert sich sicherlich. Das Vorhandensein von möglicher Bedeutung nicht.

Auch die Politik macht sich zum Handlanger dieser Interessen: Derzeit laufen Beschlussanträge im Bundestag, die Computerspiele zum „Kulturgut“ erklären wollen. Gelten Gewaltspiele als „Kunst“, kann damit aber der Jugendschutz ausgehebelt werden.

Was ist Kunst? Und was bedeutet Kultur, was ist eine bedeutende Kulturleistung? Zwei weite, weite, sehr weite Felder, die die Unterstützer des Aufrufs für sich entschieden zu haben scheinen. Wenn Kulturgut ein geschaffenes Produkt, ein Werk welcher Form auch immer, meint, wie verlogen ist dann eigentlich die Ansicht, dass Spiele diesen Status nicht verdienen könnten; nicht dürften? Eine hervorgebrachte Kulturleistung ist, wie der Begriff es schon impliziert, zuerst ein für die jeweilige Kultur bedeutender Gegenstand. Damit ist notwendigerweise keine explizit wertende qualitativ-inhaltliche Einordnung inbegriffen, zuvorderst nur die Feststellung, dass dieser Gegenstand signifikant für die Kultur ist, aus der er hervorgegangen ist. Was also verbietet es, dass in diesen digitalen Zeiten Computerspiele dieses Recht verwehrt bleiben soll? Zu einem Spiel wie „Doom“ kann man beispielsweise stehen, wie man will (wie die Unterzeichner dazu stehen würden, haben sie unmissverständlich klargemacht): Man kann dessen Bedeutung für einen Teil der Kultur, für nachfolgende Entwicklungen aber nicht einfach wegwünschen und -reden. Es hat eine Bedeutung. Sogar eine ganz entschiedene.

 

Selbst wenn man der „Argumentation“ dieser Aufrufer folgt, bleibt natürlich die Frage: Was also tun? Auch darauf hat man eine, sehr bezeichnende, Antwort parat.

Verantwortlich sind also nicht Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, denen die Bewältigung der Folgen immer zugeschoben wird. Verantwortlich sind Hersteller und Kriegsindustrie; die inflationäre Verbreitung der Spiele ist politisch gewollt und wird von „Wissenschaft“ und Medien bereitwillig vorangetrieben.

Tatsächlich brauchen Kinder und Jugendliche nicht „Medienkompetenz“, sondern eine Medienbildung, die Herzensbildung mit einschließt. Kinder und Jugendliche müssen an die sinnvolle und mitmenschliche Bewältigung der realen Aufgaben unserer Zeit herangeführt werden. Daher müssen Eltern, Lehrer und alle Bürger die Verantwortlichen benennen und zur Rechenschaft ziehen.

Schaut zuerst in den Spiegel, ihr geistig im Mittelalter stehengebliebenen Dickköpfe. Es gibt aber Hoffnung. Hoffnung auf die nächsten Generationen, die – aufgrund eigener Erfahrungen – bereit sind, dem Neu-Altem offener zu begegnen. Die Kirche hat es ja damals auch einsehen müssen…

1 Christian Pfeiffer ist im Übrigen auch, wen wundert’s, als Unterzeichner und -stützer aufgeführt. Das erklärt vielleicht auch die netten Formulierungen dieses Absatzes?


2 Antworten

  1. Wie der Krieg in die Köpfe und Herzen kommt? Ganz einfach. Wenn man solche Propagandaschriften verfasst, eine dermaßen unhaltbare Hetze betreibt, dann stehen Menschen mit gesundem Menschenverstand zwangsweise die Haare zu Berge. Manch einen mag das sogar so sehr aufregen, dass er Gewalt ausüben möchte. Und zwar an den Verfassern dieses Pamphlets. Manch einer möchte sie dafür „demütigen, foltern, verstümmeln, zerstückeln, erschießen und zersägen“ und zwar in dieser Reihenfolge und zwar nicht am Bildschirm. Und das alles ohne exzessives Killerspiel spielen.

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