Martin Lindner: Text-Definition. Mikrotexte, Hypertexte, Medientexte, Buchkultur, mündliche Texte [via]
Das Web ist nun dasjenige System von öffentlicher Schrift, für das uns unsere alten bourgeoisen Literatur-Genres nicht weiterhelfen. („Ein Blog ist ein Tagebuch“, „digitale Tageszeitung“, „Hypertext-Roman“ … das alles geht nicht mehr.) Das Web besteht aus Text. Punkt. Und ja, es entstehen eigene Textsorten und Genres, und früher oder später werden wir sie vernünftig benennen können. Aber zuerst einmal sollte ich herausfinden, was “Text” überhaupt ist. Um dann sagen zu können, was sich geändert hat, wenn digitale „Mikrotexte“ dominieren, statt Buchkultur und elektronisch-medialer TV-Mündlichkeit.
Lindner sucht für sich selbst Definitionen. Hier: speziell von Text „als greifbare Einheit“, gerade im Webzeitalter. Kurzerhand & provisorisch hat er 10 Punkte niedergeschrieben:
- „Text“ als festgestelltes Schriftbild, in das visuelle Elemente eingelagert sein können
- Text ist eine Sprach-Einheit
- In der Regel schriftlicher Text, also visualisierte und abstrahierte Sprache
- Das Web besteht primär aus Mikrotexten
- Zuvor größtenteils Makrotexte
- Hypertext als eingefrorenes System vernetzter Mikrotexte
- Sekundäre Mündlichkeit – d.h. Veränderung des Charakters von „Mündlichkeit“
- Text-Welten
- Proto-Texte ohne Schriftbild, beispielsweise eine Source Code Datei, die Worte und Sätze bilden sowie anordnen kann, es in ihrer Form jedoch noch nicht getan hat
- Multimedia-Einbettung: Der Text kann als Meta-Text auch auf eingebettete multimediale Einheiten verweisen.
Soweit das Ganze also. Ebenso provisorisch und in einem Durchlauf zwei Anmerkungen:
Zuerst sticht mir Punkt 6, die Definition von Hypertext als eingefrorenes System, ins Auge. Eingefroren? Dazu nur ein „historisches Übergangsphänomen“? Hmpf. Jein zum ersten Punkt. Ja, es ist ein eingefrorenes System, wenn man eingeengt von dem spezifischen Hypertext spricht. Aber: Der Begriff umschreibt zugleich die Gesamtheit aller im Webraum stehenden Texte; nicht nur solche Mikrotexte eines abgeschlossenen Systems. In dieser Hinsicht ist „der“ Hypertext also alles andere als „eingefroren“. Im Gegenteil. Allein die Tatsache, dass von „außen“ stets Verweise darauf entstehen können, führt eine wie auch immer geartete umfassende und statische Definition zwangsläufig ad absurdum. Desweiteren: „historisches Übergangsphänomen“? Da der Autor nicht tiefer darauf eingeht, muss als Reaktion ein Nein stehen. Ein deutliches Nein. Kein Übergangsphänomen sondern aus historischem Ansatz technisierte Weiterführung schon bekannter (und seit mehreren Jahrhunderten nötiger) Mechanik.
Zu Punkt 9 die These, dass auch derlei „Proto-Text“ letztlich ein Schriftbild besitzt. Es sind schließlich immernoch Texte. Nur besitzen sie keines in der Form, das uns in ebenso klassischer Weise vertraut scheint. Im übertragenen Sinne findet sich ein Schriftbild, ein Design, ein bestimmtes Aussehen dort ebenso. Quellcode ist eben auch Text, für den die gleichen Grundsätze gelten. Alte Visualisierung und neue Visualisierung sozusagen. Nur eben nicht sofort als solche erkennbar.
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